Nordlicht in Friedrichsdorf baut Versuchskammer für
ISS-Experiment der Goethe-Uni Frankfurt
Friedrichsdorf, 29. April 2020
Pünktlich zum 70. Jubiläumsjahr der Nordlicht GmbH gelang den Lichtspezialisten aus Friedrichsdorf ein besonderer Coup: Für das Forschungsprojekt „EXCISS“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main entwickelte das Unternehmen mundgeblasene Probenkammern für eine Versuchsreihe im Weltall. Sie sollte eine der Theorien zur Entstehung von Planeten überprüfen und wurde von ESA-Astronaut Alexander Gerst selbst auf der Raumstation ISS durchgeführt.
Seinen Ursprung hatte das Projekt „EXCISS“ (Experimental Chondrule Formation at the ISS) im „Überflieger“-Wettbewerb des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Dabei konnten sich Hochschulen um ein Experiment im Rahmen der „horizons“-Mission des deutschen ESA-Astronauten Alexander Gerst auf der Internationalen Raumstation ISS bewerben.
Das 30-köpfige Projektteam der Goethe-Universität Frankfurt und des Hackerspace Ffm rund um Tamara Koch schaffte es mit ihrem Versuchskonzept unter die besten Drei und
damit ins Weltall. Ihre Idee: Eine Theorie besagt, dass Planeten wie unsere Erde vor über 4,56 Mrd. Jahren aus Klümpchen (Chondren) und diese wiederum aus kleinen Staubkörnchen entstanden seien, die durch Blitze im Sonnensystem aufgeschmolzen worden waren.
Und wo kann man eine solche Theorie besser überprüfen als auf einer Raumstation, in der die Gesetze der Schwerkraft scheinbar ausgehebelt sind? Nun brauchte es noch eine etwa daumengroße, mit Gas gefüllte Probenkammer aus Glas, in der winzige Silikat-Partikel mit Blitzen beschossen werden konnten.
Knifflig war, dass der Versuchsaufbau, inklusive einer optischen Kamera zur Aufzeichnung, aufgrund der knappen Platzverhältnisse auf der ISS in einem sogenannten „NanoRack“, einem weltraumtauglichen Experimentkasten mit 10 x 10 x 15 cm Größe, untergebracht werden musste.
Der Weg zur ISS-Probenkammer
Auf der Suche nach einem geeigneten Partner für die Fertigung der winzigen Probenkammern kamen die Studierenden dank der Empfehlung der Universitätswerkstatt auf die Nordlicht GmbH
aus Friedrichsdorf. Diese ist dank ihrer in diesem Jahr bereits 70-jährigen Historie in der Neonbeleuchtung für ihre Erfahrung in der Kombination von Glasbläserei, Gasen und Hochspannungsstrom bekannt. Im September 2017 startete die gemeinsame Entwicklungsphase zwischen Nordlicht und der Hochschule, an der maßgeblich der damalige Nordlicht-Mitarbeiter Francisco José Navarro Melendo beteiligt war. Als einer der letzten deutschen Neon-Glasbläser stellte er sich der Herausforderung, winzige Glaskammern zu blasen, die nicht nur den
Stromstößen standhalten, sondern auch ein konstantes Vakuum für die Staubpartikel aufrechterhalten sollten.
Experimentelles Geduldsspiel
Was sich zunächst recht simpel anhörte, entwickelte sich zu einem intensiven mehrmonatigen Optimierungsprozess, bei dem Nordlicht in ständigem Austausch mit den Nachwuchsforschern
stand. Nach dem Trial-and-Error-Prinzip tastete sich Francisco J. Navarro Melendo über unzählige Versuche an die richtige Form und Glasstärke für das winzige Bauteil heran.
Über Monate hinweg hieß es immer wieder aufs Neue: Probenkammern formen, Tests in der Hochschule durchführen, Verbesserungsvorschläge ausarbeiten, umsetzen, ausprobieren.
Nachdem sich der Glasbläser an das optimale Material und die perfekte Form herangetastet hatte, folgte in der nächsten Stufe das Vakuum und die Befüllung mit den SilikatStaubpartikeln, die ebenfalls eine Herausforderung darstellte. Auch die richtige Materialauswahl für die Elektroden hatte es in sich: Erst mit Elektroden aus Wolfram, die mit Kupfer galvanisiert wurden,
gelang es dem Projektteam, die gewünschten Blitze zu erzeugen. Auf der Suche nach der passenden Stromstärke gingen einige der Kammern zu Bruch, sodass der erfahrene Glasspezialist Navarro
Melendo an die 100 Ansätze durchlaufen durfte, bis endlich 20 Probenkammern zum finalen Test bereitstanden.
Kleine Box in unendlicher Weite
Nach gut einem Jahr intensiver Entwicklungsarbeit und zahlreichen Tests gelang es, mit zwei Kammern alle Anforderungen zu 100% zu erfüllen. Und so flog eine davon 2018 zur ISS, wo sie
mindestens für 30 Tage in der Obhut von Alexander Gerst verbleiben sollte. Voller Spannung öffneten die Studierenden in Anwesenheit von Peter Bärsch, Technischer Leiter der Nordlicht GmbH, nach der Rückkehr ihre versiegelte Versuchsbox, um herauszufinden, was die rund 80 Blitze aus den Staubteilchen gemacht hatten.
Nichts für Ungeduldige
Anders als in einem Handwerksbetrieb stehen die Arbeitsergebnisse in der Wissenschaft nicht sofort zur Verfügung.
„Die bisherigen Ergebnisse sind sehr vielversprechend. Wir waren in der Lage, durch Blitze in der Schwerelosigkeit das Ausgangsmaterial so zu verändern, dass wir neue Erkenntnisse darüber gewinnen können, ob Blitze bei der Planetenentstehung eine Rolle gespielt haben könnten. Der komplexe experimentelle Aufbau mit der Nordlicht-Probenkammer hat auf der ISS funktioniert“, berichtet Tamara Koch, Leiterin des Projektteams an der Hochschule. Die Auswertung der Daten und die Analyse der Partikel aus der Probenkammer werden noch mehrere Monate beanspruchen.
Zu wissen, dass ein eigenes Produkt ins Weltall gereist ist, um Teil einer elementaren Forschungsarbeit zu sein, wird in den nächsten 70 Jahren Firmengeschichte kein ‚Nordlicht‘ vergessen.